Diese hochaktuelle Rede hielt Sant Kirpal Singh
bei der 9. Generalversammlung der UNESCO im Dezember 1956. 
Die Versammlung fand auf Veranlassung der "Society for the Uplift of Mankind" – Gesellschaft zur Erhebung der Menschheit – in New Delhi, Indien statt.

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Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Delegierte und Vorsitzende, liebe Freunde,

es ist ein besonderes Ereignis, mit bedeutenden Delegierten und Abgeordneten der verschiedenen Länder der Welt zusammen zu treffen, die hierher gekommen sind, um im Geist des Friedens und liebevollen Wohlwollens Konzepte zu besprechen und der ganzen Welt universale Bruderschaft zu demonstrieren. Ich liebe Gott und die ganze Menschheit. Ich bin mir völlig bewusst, dass hier sehr fähige Männer und Frauen anwesend sind, doch ich erlaube mir, Ihnen offen das zu sagen, was mir zu dem Thema in den Sinn kommt, das wir uns als heutigen Schwerpunkt gesetzt haben, nämlich: Frieden für die Welt.

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Er muss das Brot des Lebens zu sich nehmen. Er ist ein bewusstes Wesen und muss sich selbst erkennen, um im Gottbewusstsein leben zu können. Der Mensch ist ein bewusstes Wesen, und drückt sich durch das Gemüt* und den Körper aus. Der Mensch kann keine Selbst- und Gotterkenntnis erlangen, solange er sich nicht aus der Gebundenheit an Gemüt und Materie befreit. Wenn das Gemüt des Menschen auf den Körper und seine Bedürfnisse gerichtet ist, ist er weltlich gesinnt. Das unvermeidliche Ergebnis sind Eifersucht und Streit. Wendet es sich aber der Seele zu, wird der Mensch spirituell, und das Ergebnis sind Frieden und Liebe.

In der Präambel zur UNESCO-Verfassung heißt es: "Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden."

Alle Meister, die in der Vergangenheit kamen, lenkten die Aufmerksamkeit des Menschen darauf das Herz zu reinigen. Wenn wir wollen, dass sich im Äußeren etwas ändert, müssen wir zuerst unser Herz ändern, denn der Mensch spricht aus der Überfülle seines Herzens. Was nützt es einem Menschen, wenn er sich äußerlich rein hält, aber sein Herz voller Falschheit ist? Reinheit in Gedanken, Worten und Taten ist notwendig. Die Welt erwacht jetzt zu dieser Wahrheit. Das sieht man auch daran, dass religiöse Konferenzen und solche Organisationen wie diese entstehen mit dem Ziel, die Menschheit zu erheben. Aber immer noch herrschen Hass und Gewalt in der Welt, und die Doktrin von der Ungleichheit der Menschen und Völker wird gepredigt und praktiziert. Manche wollen andere beherrschen, fordern von ihnen so viel wie möglich und beuten sie aus, aber geben von ihrer Seite nur wenig oder gar nichts. Dadurch entstanden Gewohnheiten, die zu unserer Natur geworden sind. Wie können wir unser Gemüt ändern und es einem höheren Ziel zuwenden? Das Gemüt ist wie das Feuer ein guter Diener, aber ein schlechter Herr. Guru Nanak sagte: "Sieg über das Gemüt ist Sieg über die Welt."

Lasst uns überlegen, wie wir unser Gemüt besiegen und unsere Herzen wandeln können. Der Mensch ist zusammengesetzt aus Körper, Gemüt (Intellekt) und Seele. Wir müssen uns in jeder Hinsicht entwickeln. Was den Körper, das Soziale und die Politik anbelangt, sind wir weit vorangekommen. Wir haben wunderbare Erfindungen gemacht wie Telefon, Telegraphie, Rundfunk, Fernsehen, Flugzeuge, Raketen, Atombomben usw. Doch der Körper und der Intellekt sind gleichermaßen abhängig von der Seele im Inneren, von der wir wenig oder gar nichts wissen.

"Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele?" Da wir uns selbst nicht erkannt haben, richten sich alle Fortschritte, die wir auf der Ebene des Körpers und des Verstandes gemacht haben, gegen uns selbst. Vor kurzem fand eine europäische Konferenz von Wissenschaftlern statt, bei der der Präsident in seiner Rede sagte, dass wir die Naturkräfte zu beherrschen lernten, bevor wir Kenntnis von unserem eigenen Selbst erlangten. Das ist der Grund dafür, dass verschiedene Erfindungen zur Vernichtung der Menschheit beitragen. Hätten wir uns selbst erkannt, bevor wir die Kontrolle über die Naturkräfte erlangten, hätten all diese Erfindungen zur Erhebung der Menschheit beigetragen. Alle Meister früherer Zeiten wie Buddha, Nanak, Christus und Prophet Mohammed fordern uns auf: "Erkenne dich selbst!"Um uns selbst zu erkennen, müssen wir uns durch praktische Selbstanalyse über das Körperbewusstsein erheben. Die Schriften sagen: "Lerne zu sterben, damit du zu leben beginnen kannst." Christus sagte: "Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht betreten." Nikodemus war ein sehr gebildeter Mann. Er kam zu Christus und sagte zu ihm: "Meister, wie kann ein Mensch wieder geboren werden, wenn er alt ist? Kann er wieder in seiner Mutter Leib gehen und nochmals geboren werden?" Ihr werdet sehen, dass die intellektuellen Menschen kläglich versagen, wenn es um die praktische Seite geht. Christus antwortete: "Bist du ein Meister in Israel und weißt das nicht? Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren wird, das ist Geist." Von neuem geboren zu werden bedeutet, sich durch praktische Selbstanalyse über das Körperbewusstsein zu erheben, so dass man sich selbst und das Überselbst, das mit so vielen Namen benannt wird, erkennt. Kabir sagt dasselbe: "Lerne hundertmal täglich zu sterben, nicht nur einmal." Man muss wissen, wie man sich über das Körperbewusstsein erhebt, damit man erkennt, wer man ist und was man ist. Intellektuell wissen wir so viel darüber, aber praktisch wissen wir wenig oder nichts. Es geht darum, sich über das Körperbewusstsein zu erheben und das innere Auge oder Einzelauge zu öffnen, um durch praktische Selbstanalyse das Licht Gottes zu sehen, was wir vergessen haben. Dies ist eine uralte Wissenschaft.

Alle Meister früherer Zeiten waren mit diesen Tatsachen völlig vertraut, aber wir haben sie leider vergessen. Können wir uns über das Körperbewusstsein erheben? Können wir den Körper verlassen und wieder zurückkommen? Das lehrten fast alle Meister – ob sie nun in dem einen oder anderen Land lebten. Maulana Rumi sagte: "Meine lieben Freunde, lernt zu sterben, damit ihr ewiges Leben erlangen könnt." Das ist nichts Neues, sondern etwas sehr, sehr Altes, wir haben es nur vergessen. Der Meister sagt: "Ja, wir können diese Erfahrung ganz sicher erhalten, so sicher wie zwei mal zwei vier ist, und zwar zu den Füßen eines kompetenten Meisters so wie König Janak sie zu den Füßen Ashtavakras in kürzester Zeit erhielt."

Ich brauche nicht länger auf dieses Thema einzugehen. Wer daran interessiert ist, das Rätsel des Lebens zu lösen, kann das Heft "Mensch, erkenne Dich selbst!" lesen, das an alle hier zur weiteren Information ausgeteilt wurde. Um dieses Ziel zu erreichen, muss der Mensch ein ethisches oder moralisch hochstehendes Leben führen. Dies ist ein Schrittstein zur Spiritualität. Christus sagte: "Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen." Guru Nanak sagte: "Seid rein, damit ihr die Wahrheit erkennen könnt." Wir fordern die moralische und geistige Solidarität der Menschheit, haben aber bisher keinerlei Wert auf den spirituellen Aspekt des Menschen gelegt. Dabei ist der spirituelle Aspekt der wichtigste, aber leider auch der am meisten vernachlässigte. Er ist der Faktor, der die ganze Menschheit verbindet und ohne den alle unsere Versuche in intellektueller oder moralischer Hinsicht fehlschlagen und in sich zusammen fallen.

Auf meiner Reise durch England, Deutschland und die USA im letzten Jahr wurde ich gefragt: "Wie können wir die Gefahr eines Atomkrieges abwenden?" Ich sagte den Zuhörern, dass wir sie dann abwenden können, wenn wir nach dem leben, was die Schriften sagen. Wir wissen so viel von der Bergpredigt, den Zehn Geboten und dem Achtfachen Pfad des Buddha, wenn es darum geht, den anderen zu predigen, aber wir leben nicht nach dem, was wir predigen. "Seid Täter des Wortes und nicht Hörer allein – sonst betrügt ihr euch selbst."– "Reformer werden gesucht, die nicht andere reformieren, sondern sich selbst." Lernt so zu leben wie Yudishtra, einer der fünf Pandava (Prinzen). Es wird berichtet, dass die fünf Brüder einem Lehrer zum Unterricht unterstellt wurden. Der Lehrer gab ihnen ein Buch, das mit den Worten begann: "Sprich die Wahrheit! Werde nicht ärgerlich!", usw. Vier der Brüder lernten das kleine Buch ganz auswendig. Als die Reihe an Yudishtra kam, sagte er: "Meister, ich habe einen Satz 'Sprich die Wahrheit!' ganz gelernt und von 'Werde nicht ärgerlich' nur die Hälfte." Der Meister war wütend. "Was soll ich dem König sagen?" fragte er. "In zwei oder drei Monaten hat er nur einen Satz gelernt und den anderen halb." Er schlug den Jungen – einmal, zweimal, dreimal. Dann sagte er: "Warum sagst du nicht die Wahrheit?" Yudishtra antwortete: "Ich sage die Wahrheit: ich habe den einen Satz, 'die Wahrheit zu sagen', ganz gelernt, und den anderen, 'nicht ärgerlich zu werden', zur Hälfte. Und jetzt sage ich Euch nochmals die Wahrheit: am Anfang war ich nicht ärgerlich, aber als Ihr mich immer weiter geschlagen habt, da kam Ärger in mir auf." Solange wir noch nicht gelernt haben, so zu leben wie Yudishtra, kann es in keinem Stadium unseres Lebens einen Fortschritt geben. Nahrung, die verdaut wird, gibt Kraft. Wenn wir das in die Praxis umsetzen, was wir gelernt haben, wird jegliche Gefahr eines Atomkrieges gebannt sein.

Jetzt lasst uns sehen, was die Schriften zu unserer Führung sagen. Wir alle verehren dieselbe Gotteskraft, die mit so vielen Namen benannt wird. Gott erschuf die Menschen (beseelte Körper). Unsere Seele ist umhüllt von Gemüt und Materie. Gott ist Allbewusstsein. Wenn wir uns von der Gebundenheit an Gemüt und Materie befreien, erkennen wir, dass wir bewusste Wesen (Seelen) sind. Wir sind gleichsam Tropfen aus dem Meer des Lebens. Wenn wir uns selbst erkennen, indem wir uns vom physischen Körper trennen, dann begegnen wir der Welt von der Ebene der Seele aus. Wir besitzen also einen starken Hintergrund, auf den wir uns stützen können, nämlich Gottbewusstsein. Aber bisher haben wir nur nach den Geboten und Verboten gelebt. Wir sollen dies und jenes tun, oder dieses und jenes nicht tun; und damit stehen wir in Wirklichkeit auf keinem starken Fundament. "Von Geburt aus ist keiner Hindu oder Moslem," sagte Guru Nanak, und ich darf hinzufügen: "Christ oder Anhänger einer anderen Religion."

Die Israeliten kamen zu Christus und stellten ihm die Frage: "Unser Kaiser verlangt Steuern von uns, was sollen wir tun?" Er forderte sie auf, ihm eine Münze zu bringen, und als die Münze gebracht wurde, fragte er, wessen Inschrift sie trage. Als sie zur Antwort gaben, es sei die des Kaisers, sagte er: "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist. Eure Seelen aber sind von Gott, so gebt sie Gott." Alle Meister hatten denselben Standpunkt. Der Mensch ist ein soziales Wesen, und so entstanden die sozialen Institutionen der verschiedenen Religionen zur Erhebung der Seele, einerseits, damit sie ihren irdischen Aufenthalt friedlich verbringen und sich der ganzen Menschheit gegenüber als hilfreich erweisen kann, andererseits aber auch, um der Seele zu helfen, sich selbst und das Überselbst – Gott – zu erkennen. Gott kann nicht durch den Verstand, die nach außen gerichteten Sinne oder die Pranas erkannt werden. Nur die Seele allein kann Gott erkennen – das ist der Grund, weshalb alle früheren Meister betonten: "Erkenne dich selbst!" Darüber hinaus gaben sie zwei wichtige Gebote:
1. Liebe Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft, und
2. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Denn Gott wohnt in jedem Herzen.

Wir sind alle bewusste Wesen von der gleichen Essenz wie Gott. Es besteht eine allem zugrunde liegende Einheit, und so sind wir Brüder und Schwestern im wahren Sinne des Wortes und bilden eine universale Bruderschaft, die nur dann gefestigt werden kann, wenn die so notwendige innere Einheit verwirklicht wird.

Bis jetzt ist unser Wissen nur intellektuell. Da wir uns selbst nicht erkannt haben, kann unser inneres Auge nicht alles durchdringen. Erst wenn das innere Auge, Einzelauge oder verborgene Auge geöffnet ist, sieht man, dass dasselbe Licht Gottes in allen wirkt. Dann wird man wirklich alle lieben und alle Schriften achten, die die Meister der Vergangenheit uns hinterlassen haben. Alle Schriften sagen, dass Gott überall in der Schöpfung ist und jeder Form innewohnt. Guru Nanak sagte: "Wir leben und haben unser Sein in Gott. Wir sollten jeden so behandeln wie unser eigen Fleisch und Blut." Prophet Mohammed sagte: "Wir sind alle Mitglieder derselben Familie Gottes." Alle anderen Heiligen sagten das gleiche. Wir sollten deshalb alle lieben. Die Liebe zu Gott und zur ganzen Menschheit sind die beiden großen Grundsätze oder Hauptgebote, auf denen die Arbeit aller Meister beruht. Wenn wir sie in der Praxis befolgen, wird Friede auf Erden sein; das Königreich Gottes wird auf die Erde kommen – und es kann keine Gefahr mehr für einen Atomkrieg geben.

Es gibt nur eine Wirklichkeit, die hinter allem wirkt. Die ganze Menschheit ist eins. Die Unterschiede wurden von Menschen geschaffen, sie entstanden aus der Selbsterhöhung, weil der Mensch sein eigenes Selbst nicht kennt. Vom heiligen Johannes wird erzählt, dass er einmal in eine Schule eingeladen war. Er kam hin und wurde gebeten, eine Rede zu halten. So stand er auf und sagte: "Kinder, liebt einander", und setzte sich wieder. Der Schulleiter fragte ihn: "Habt Ihr nicht noch mehr zu sagen?" Er stand nochmals auf und sagte: "Kinder, liebt einander", und setzte sich wieder. Noch einmal fragte ihn der Schulleiter, ob er nicht noch mehr zu sagen habe. Ein drittes Mal stand er auf und sagte: "Kinder, liebt einander. Liebt, und alle Dinge werden euch zufallen." Um dieses Ziel zu erreichen, muss sich der Mensch ethisch oder moralisch entwickeln. Das ist der Kern der Lehren aller Meister. Wer Gott liebt, wird ganz von selbst alle lieben.

Ohne Liebe kann es keinen dauerhaften Frieden in der Welt geben, und wenn der spirituelle Aspekt im Menschen nicht verwirklicht wird, könnt ihr keine wahre Liebe haben. Gott ist Liebe; und da unsere Seele vom gleichen Wesen ist wie Gott, ist die Liebe von Natur aus in uns eingewirkt. Shamas Tabrez, ein Moslem, sagte: "Auch wenn ihr hundert Jahre lang äußere Rituale und Gebetszeremonien ausführt, seid ihr deshalb noch keine wahren Ergebenen. Wenn dadurch keine Liebe zu Gott entstanden ist, könnt ihr das Mysterium Gottes nicht erkennen."

Guru Gobind Singh, der zehnte Guru der Sikhs, sprach die gleiche Wahrheit aus: "Hört alle her, ich sage euch die Wahrheit: die, die lieben, gelangen zu Gott." Die Bibel sagt das gleiche: "Jene, die nicht lieben, können Gott nicht erkennen." Alle anderen sagten dasselbe. Wer Gott liebt, verehrt alle Meister, die in der Vergangenheit kamen, alle heiligen Schriften, alle heiligen Orte und Pilgerstätten. Wer Gott liebt, wird nie daran denken, jemanden in Gedanken, Worten oder Taten anzugreifen. Er wird
1. eine Verkörperung von Ahimsa (Nichtverletzen, Gewaltlosigkeit) sein, welches das höchste aller Dharmas (ethischen und religiösen Prinzipien) ist,
2. ein Leben der Wahrhaftigkeit führen,
3. einen edlen Charakter haben,
4. alle lieben und keinen hassen,
5. ein Leben des selbstlosen Dienens zur Erhebung der ganzen Menschheit führen.

Das sind die fünf Säulen, auf denen das Gebäude des Friedens errichtet werden kann. Diese fünf Säulen werden gestärkt, indem man die innere spirituelle Verbindung entwickelt. Ein solcher Mensch sieht die ganze Welt als Haus Gottes und die verschiedenen Länder als die vielen Räume darin. Die Regierungen wurden eingesetzt, um das Wohlergehen des Volkes zu wahren. Sie tun ihr Bestes, um mit den verschiedensten Maßnahmen Frieden und Ordnung in der Welt wieder herzustellen. Auch die Vereinten Nationen wurden gegründet, um dieses Ziel zu sichern. Die Regierungen können die Menschen äußerlich kontrollieren, aber sie können sie nicht zu wahren Menschen entwickeln – solange sich die Herzen und Gemüter nicht ändern, kann sich auch die Situation in der Welt nicht verändern. Der Wandel muss von innen kommen. Wie ich schon sagte: "Der Mensch spricht aus der Überfülle seines Herzens". Die Worte, die ein (spiritueller) Mensch spricht, sind von Liebe geladen. Was aus seinem Herzen kommt, geht anderen Menschen zu Herzen. Das ist nicht die Aufgabe von Sektierern sondern allein die spiritueller Menschen. Nur sie können eine solche Arbeit tun, ohne die keine Regierung wirklich erfolgreich sein kann.

Leider bin ich gezwungen (in diesem Zusammenhang) eine Sache anzusprechen, die der Menschheit mehr geschadet als genützt hat: das bezahlte Predigen. Bezahltes Predigen, betrieben von berufsmäßigen und engstirnigen Predigern, hat die Dinge in allen Religionen verschlimmert. Statt die Menschheit zu vereinen, haben sie daran mitgewirkt, Mensch von Mensch zu trennen. Seht, wie es früher war: Das Leben des Menschen war in vier Abschnitte eingeteilt. Die ersten 25 Lebensjahre wurden dazu verwendet, sich mit allen Schriften zu befassen und sich sonstiges Wissen anzueignen; die nächsten 25 Jahre waren dafür gedacht, eine Familie zu gründen und sich um sie zu kümmern. Etwa weitere 25 Jahre hatte der Mensch in die Abgeschiedenheit zu gehen, um Selbst- und Gottverwirklichung zu erlangen. Wenn er sich selbst und Gott verwirklicht hatte, sollte er von Ort zu Ort gehen und die Menschheit uneigennützig lehren. Solche Menschen wurden "Sanyasins" genannt, und sie wurden gebeten zu predigen. Alle Meister weisen uns an, mit unserer ganzen Seele, unserem ganzen Herzen und all unseren Kräften Gott und die ganze Menschheit zu lieben. Die Meister, die in der Vergangenheit kamen, sagten, wir sollten uns nach den Schriften richten. Wie viele von uns sollten das tun? Wenigstens die, die diese Wahrheit erkannt haben. Sie sollten bei sich selbst beginnen.

Gott will Reformer, wie ich Ihnen bereits sagte, die sich selbst und nicht andere reformieren. So viele Menschen sitzen hier – sagen wir 600 bis 700 – wenn wir einfach damit anfangen, das zu tun, wird ein Wandel kommen. Wer dann Ihnen begegnet, wird sich ebenfalls ändern. Sehen Sie, es bedarf einer sinnvollen Art des Predigens durch solche, die allumfassende Liebe haben und der wahren Bedeutung der Schriften, die wir heute glücklicherweise besitzen, folgen. Wären wir hundert oder vierhundert Jahre früher (in die Welt) gekommen, würden uns die Schriften oder Erfahrungen derjenigen, die in dieser Zeit lebten, wie Ramakrishna und andere, nicht zur Verfügung stehen. Wären wir fünfhundert Jahre früher hier gewesen, hätten wir die Schriften der Sikh-Gurus nicht, die ein umfangreicher, göttlicher Schatz sind. Hätten wir vor 1400 oder 1500 Jahren gelebt, hätten wir den heiligen Koran nicht. Und wenn wir zweitausend Jahre zurückgehen – wären wir vor dieser Zeit gekommen, hätten wir nicht einmal die Bibel. Vor 2500 Jahren hätten wir auch die Schriften von Buddha und Mahavira nicht. So sind wir heute im 20. Jahrhundert glücklich zu schätzen, die genauen Berichte über die persönlichen Erfahrungen mit dem Selbst und dem Überselbst all derer zu haben, die in der Vergangenheit lebten. Wir können davon profitieren. Solange wir jedoch den wahren Sinn der Schriften nicht kennen und das eine, allem zugrunde liegende Prinzip nicht verstehen und danach leben, stehen wir nirgendwo. Was sagen die Schriften? Sie raten uns, stark und widerstandsfähig zu sein, ein vorbildliches ethisches Leben zu führen und uns selbst und Gott zu erkennen.

Es gibt zwei Arten von Wissen, das eine wird "Apara Vidya" und das andere "Para Vidya" genannt. "Apara Vidya" besteht darin, Schriften zu lesen, Rituale und andere Zeremonien auszuführen, Almosen zu geben usw.; das sind die Anfangsstufen, die notwendig sind, um den Weg zur Spiritualität zu bahnen. Der Sinn dahinter ist, in uns das Interesse zu wecken, uns selbst und Gott zu erkennen, und außerdem ein ethisches Leben zu führen, das ein Schrittstein zur Spiritualität ist. Dazu brauchen wir natürlich die Führung eines Menschen, der das spirituelle Leben verwirklicht hat. Das Haupthindernis ist, dass wir nicht wissen, was wir sind und wo wir stehen. Unsere Seele ist gefangen von Gemüt und Materie. Wenn Sie praktisch lernen, sich selbst zu analysieren und sich über das Körperbewusstsein zu erheben, dann werden Sie sehen, dass Sie weder der Körper, noch der Intellekt, noch die nach außen gerichteten Sinne sind.

Wir wissen so viel, aber wir wissen es nur intellektuell. Ist es möglich, sich selbst und Gott zu erkennen? Wie ich Ihnen vorhin schon sagte: Ja! Es ist möglich, wenn wir "Para Vidya" folgen, der Wissenschaft der praktischen Selbstanalyse, dem natürlichen Weg, den Menschen jeden Alters gehen können. Wenn Sie nicht wissen, wer Sie sind und was Sie sind und in welcher Beziehung Sie zu Gott und der ganzen Schöpfung stehen, können Sie nicht vollkommen in Frieden leben. Das hat nichts mit Gefühlen und Emotionen zu tun oder mit Schlussfolgerungen, zu denen man durch intellektuelles Ringen kommt, denn all das ist dem Irrtum unterworfen. Es ist eine Sache des Sehens, und steht somit über allem. Das lehrten alle Meister der Vergangenheit. Und es gilt für jeden, ganz gleich aus welchem Land er kommt oder zu welcher Religion er gehört; das macht keinen Unterschied. Da der Mensch ein soziales Wesen ist, wurden Gemeinschaften gegründet, die ihn befähigen sollen, ein Leben hoher Moral und Reinheit zu führen und die ganze Menschheit zu lieben, und die Tage seines Lebens in Frieden zu verbringen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir die Einheit sehen die der ganzen Schöpfung zugrunde liegt, indem wir uns selbst und Gott erkennen. Wir haben uns auf wissenschaftlichem Gebiet wunderbar entwickelt, sind aber trotz all der Annehmlichkeiten, die uns das gebracht hat, nicht glücklich. Wirklich glücklich ist man erst, wenn man sich selbst erkennt.

Wir haben davon gesprochen, dass Regierungen zwar äußerlich Kontrolle über Menschen ausüben können, aber sie nicht zu wahren Menschen entwickeln können. Menschen zu wahren Menschen heranzubilden ist die Arbeit wirklich spiritueller Lehrer. Nehmt als Beispiel die Könige der alten Zeit, wie Dashratha, Ashoka und andere; fast alle hatten an ihrem Hof wirklich erwachte spirituelle Seher, die sie in allen Angelegenheiten, die die Menschheit als Ganzes betrafen, zu Rate zogen. Von ihnen erhielten sie maßgebliche Hilfe bei der Regierungsarbeit in ihren Staaten, ohne dass sie auf die Anwendung von Gewalt zurückgreifen mussten. Wenn eine ähnliche Führung jetzt möglich wäre, würde das viel dazu beitragen, den Frieden in der Welt zu sichern. Sehen Sie, unser Erfolg, eine unabhängige Regierung in Indien ohne regelrechten Krieg zu erlangen, war hauptsächlich durch die weise Führung und Beratung Gandhi Ji‘s möglich, die auf moralischer Stärke mit einem gewissen spirituellen Hintergrund beruhte. Er verdient unser aller Hochachtung. Wenn Sie den Grundsätzen folgen, die ich Ihnen genannt habe, wird Frieden auf Erden sein. Dies ist nichts Neues. Es steht bereits in den Schriften, die die Meister, die in der Vergangenheit kamen, hinterließen. Sie alle brachten die gleiche Lehre. Aber wir kennen das nur intellektuell.

Das einzig Notwendige ist: das, was wir wissen, müssen wir in die Tat umsetzen. Statt anderen zu predigen, sollten wir uns selbst predigen und nach dem leben, was wir sagen. Dann wird ganz sicher ein Wandel kommen. Es mag sein, dass Kriegsgefahr droht, aber wenn wir zumindest wissen, was wir sind, und versuchen, nach dem oben Gesagten zu leben, wird das die Dinge nicht verschlimmern; es wird der Mehrheit der Menschen helfen. Es ist wahr: wenn das Haus bereits in Flammen steht, kann man dort nicht erst einen Brunnen graben. Wenn wir nun aber beginnen, nach dem zu leben, was uns dargelegt wurde, nämlich Gott zu lieben, und da Gott in allen Herzen wohnt, die ganze Menschheit und die ganze Schöpfung zu lieben, wird uns das von großer Hilfe sein.

In den Hindu-Schriften lesen wir, dass sie den Schlangen Milch gaben, da Gott allen Formen innewohnt, Gugapir, wie es genannt wurde. Christus wurde die Frage gestellt, wie wir uns anderen gegenüber verhalten sollten, und er sagte: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst." Als er gefragt wurde, wie man sich seinen Feinden gegenüber verhalten sollte, sagte er: "Liebet eure Feinde." Der wirklich spirituelle Mensch sieht Gott in allen Herzen. Er handelt von dieser Ebene aus. Es wird umso mehr Frieden und Liebe untereinander entstehen, je mehr solche Menschen es gibt.

Mit diesen Worten möchte ich mich bei Ihnen allen für das geduldige Zuhören bedanken und mich von Ihnen verabschieden.

* Das Gemüt – im Englischen "mind" – umfasst den ganzen Bereich der Gedanken, Gefühle und Willenskräfte, aber auch das Un- und Unterbewusste. Gelegentlich wird es auch mit Herz oder Geist übersetzt.